Monday 8 December 2014

Gerade auf Fixpoetry erschienen: Eine schöne Rezension von Astrid Nischkauer zu meinem Lyrikband "Flügelkunde"

http://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritiken/marco-grosse/julietta-fix/fluegelkunde



Wovon der Wegrand spricht ist einerlei

"Ich stehe kurz davor etwas in Worte zu fassen wovon ich noch nicht weiß, was es ist ..."
Hamburg
Was sich schon im Erzählband „Die Grenze liegt am Horizont“ angekündigt hatte, liegt nun in Form eines ersten Gedichtbandes „Flügelkunde“ als Beweis vor: Marco Grosse ist nicht nur Erzähler, sondern auch Dichter.
Die Gedichte von Marco Grosse lassen sich nicht festmachen, sie bleiben in Bewegung, sei das nun das Hin- und Her der Wellenbewegung, oder ein Hinabsinken auf den Meeresgrund:
Wir sinken hinab und hinab
an Luftblasen vorbei die nach oben wirbeln
hinab und hinab […]
Alles bleibt fragil. Die Sprache in den Gedichten von Marco Grosse hat den Mut, sich die eigene Zerbrechlichkeit einzugestehen. Die Gedichte entziehen sich gleich Gedanken, die sich nicht trocken legen lassen:
Ich stricke an meinen Gedanken, lege sie trocken und gewinne an Land
Doch alles ist fragil und schon hat das Meer mir wieder Teile entzogen […]
Die den Gedichtband Flügelkunde bestimmenden Elemente sind Wasser und Luft, wie das gut in einer nur scheinbar einfachen Frage auf den Punkt gebracht wird: sind wir mehr Luft oder sind wir mehr Meer?
Besonderes Augenmerk legt Marco Grosse dabei auf Übergänge – Uferbereiche, oder Seeluft, die in ihren feuchten Kristallen greifbar wird – und Kollisionszonen – Wellen die am Ufer brechen, Luftzug auf der Haut, Regentropfen, die wie feuchtgewordene Knallfrösche auf Blättern platzen, oder Autos, die Wassermassen vor sich herdrängen: Gelegentlich vorbeifahrende Autos, wie Wellen drängen sie Wassermassen geräuschvoll ans Ufer.
Illustration: Korinna Feierabend, Flügelkunde
Die verschiedenen Aggregatzustände – fest, flüssig, gasförmig – sind ebenfalls äußerst wichtig für die Gedichte, ganz besonders im Aufeinanderprallen von Unterschieden. Die Gegenüberstellung gasförmig-fest könnte wohl kaum eindrücklicher verbildlicht werden, als in Wolkenfeldern, die an Bergspitzen hängenbleiben. In einem anderen Gedicht findet man einen Wechsel von fest zu flüssig, wenn wegen eines Schweißausbruchs das Flüssigwerden der Hände droht.
Nicht nur inhaltlich beziehen sich viele Gedichte auf Wasser, auch in ihrem Schriftbild. Wellen brechen in endloser Wiederholung an der Meeresküste. Und auch Zeilen können anbranden und am Rand der Seite brechen, heißt es doch nicht umsonst Zeilen(um)bruch. Dass das folgende Gedicht von Marco Grosse die Brandung beschreibt, verrät der Titel. Doch auch ohne diesen wäre das leicht rein optisch an der Zeilenaufteilung, dem Zeilenfluss, der Zeilenbewegung, zu erkennen. Denn die Zeilen folgen dem Hin und Her der Wellenbewegung, an deren äußersten Front Gischt in Gischt fließt, so wie sich auch das Ich im Gedicht in die Bewegung hinein fühlt:
Brandung
Wellen verlangen nach einem Ende an dem sie ankommen können
Sie wissen sie müssen brechen wollen sie an Land
Ich fühle mich hinein in ihre Bewegung und rolle mich weiter bis Gischt in Gischt
fließt
Sprechen und Dialog sind in den Gedichten sehr zentral. Es gibt ein Ich, ein Du, ein Wir. Es wird miteinander gesprochen, wiederholt, was jemand gesagt hatte, oder es wird auch die Sprechweise genau beschrieben:
Dann sprichst du leise, wie im Düstern, bewegst nur die Lippen als seist du
schon unterwasser.
Die Gedichte sind sehr ernst von der Themenwahl, aber auch in ihrer Ausdrucksweise:
denn jedes Schweigen war nur das Warten auf die Evidenz.
Bücher kommen öfter vor, doch nur in zerfallender Form:
Dies bezeugen die alten Bücher, die in ihrer Müdigkeit zerfallen, sobald man sie
berührt.
Oder, noch drastischer, gleich im allerersten Gedicht des Bandes, in welchem Bücher Selbstmord begehen:
während Bücher sich das Leben nehmen
weil sie lieber in der Sonne verblassen.
Damit wird die Vergänglichkeit der Worte vorgeführt, was in gewisser Hinsicht einen Widerspruch zu der Suche nach endgültigen Antworten in vielen der Gedichte darstellt.
Ja, es werden viele große Fragen in den Gedichten von Marco Grosse aufgeworfen. Mögliche Antworten werden aber kaum greifbar, oder bleiben ganz aus – manchmal ganz einfach erklärbar damit, dass eine Frage wie „Was dann?“ zum Beispiel ja an einen Olivenbaum gerichtet worden war, eine klare Antwort also überaus überraschend wäre.
Aber werden Fragen wirklich gestellt, um Antworten zu erhalten?
Und wollen Wellen überhaupt ankommen?
So wie die vielen Fragen in den Gedichten scheinbar gar nicht auf Antworten warten, so geht es auch in einem Gedicht über das Muschelsuchen einzig um das Suchen, nicht um das Finden:
[…] irgendwann leere ich den Eimer voller Muscheln und beginne von vorne.
Nicht ankommen, nichts abschließen wollen die Gedichte von Marco Grosse, sondern öffnen und weiten, nicht zu beantwortende Fragen stellen, Dinge in Bewegung setzen, sich in das Fließen der Wellen oder des Regens einfühlen, und einfach immer wieder und wieder neu beginnen, von vorne.
Illustration: Korinna Feierabend, Flügelkunde
Sehr sacht begleitet werden die Gedichte von Marco Grosse von bemerkenswerten Illustrationen von Korinna Feierabend. Mit ihren Illustrationen gelingt Korinna Feierabend etwas, das man nur sehr selten bei Gedichtbänden findet: ihre Illustrationen gehen auf die Gedichte ein, treten in Beziehung zu ihnen, ohne sich ihnen jedoch unterzuordnen. Beschreiben lassen sie sich wohl am treffendsten als leicht, zart, viel Freiraum lassend. Und damit korrespondieren sie sehr stark mit der Lyrik von Marco Grosse.
Die Illustrationen von Korinna Feierabend illustrieren nicht einfach, sind auch kein schmückendes Beiwerk zu den Gedichten, sondern sie interpretieren diese auf eine abstrakte aber äußerst feinfühlige Art und Weise.  Für ihre Bilder verwendete Korinna Feierabend stark vergrößerte Photographien von Holz oder Steinen und bearbeitete diese dann auf dem Computer weiter. Die Gegenstände selbst sind dadurch nicht mehr eindeutig erkennbar. Stattdessen rückt die Materialität der unterschiedlichen Oberflächenstrukturen in den Vordergrund. Korinna Feierabend verändert damit die Wahrnehmung der Gegenstände grundlegend: eigentlich schwere und harte Gegenstände wirken plötzlich zart und leicht. Die Illustrationen lassen Freiraum ebenso zu, wie Unschärfe, und gerade dadurch vermitteln sie zugleich Ruhe und Zerbrechlichkeit.
[…] Ich stoße Geschehen an und setze Dinge in Bewegung
Ereignisse biegen sich aus ihren Kreisen fort und fort
meutern am Himmel und entkleiden die Sterne
nur wegen der Vorstellung
eine Umarmung könnte vielleicht glücken.

Marco Grosse · Julietta Fix (Hg.)
Flügelkunde
Illustrationen: Korinna Feierabnd
Horlemann
2014 · 60 Seiten · 17,90 Euro
ISBN:
978-3-89502-382-8
 

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